Ja, das war gestern (wer
sich hierfür interessieren sollte, kann es
unter
hier klicken gerne
nachlesen) . Ein interessanter Tag, nicht wahr? Was will Esel mehr.
Wenn ich da an
früher denke, wird mir ganz anders. Wirklich, das
waren noch Zeiten... Ein
riesiges Gestüt; soweit das Auge
reicht....Jeden Tag Mohrrüben..Und die vielen
Kameraden...Aber
nein, mein damaliger Herr musste ja unbedingt mit dem
Roulettespiel
anfangen. Das war der Anfang von dem Ende. Woher ich das weiß...
Nun,
ein Esel hat bekanntermaßen große Ohren. Und die hat er nicht ohne
Grund.
Wahrlich nicht... Wenn der Leser sich zusätzlich noch ein
äußerst geschwätziges
Personal vorstellt, wird er seine gerade
geäußerte Zwischenfrage auch schon
beantwortet haben. Ich bin
schon ein gewitztes Kerlchen. Ja, irgendwann hatte
mein damaliger
Herr sein ganzes Vermögen verspielt.

Eine ziemlich tragische
Geschichte damals. Alles auf dem Hof musste schnellstens zu
Geld
gemacht werden. Auch wir Tiere. Ich war damals noch relativ
jung. Das sollte
sich als großer Vorteil herausstellen... Ja, das
ist schon tragisch. Alte Esel
will niemand mehr haben. Die können
sich schon glücklich schätzen, wenn sie
irgendwo ihr Gnadenbrot
fristen können. Bei jungen Tieren ist das nicht ganz so
schlimm.
Da findet sich früher oder später schon jemand. Besonders, wenn
man
sich auf das Süßholzraspeln versteht. Und das konnte ich
immer schon. Im
Gegensatz zu meinem damaligen Kumpel Ernesto. Aber
der war auch schon viel
älter als ich. Sehr viel älter. Das
merkte man auch. Seine Knochen waren müde
und knarrten. Bei dem
Herumtollen musste er des öfteren eine Pause einlegen.
Damals
konnte ich das überhaupt nicht verstehen. Ich war jung und
übermütig.
Voller Neugierde und Tatendrang. Ernesto wollte
jedenfalls niemand kaufen.
Als Arbeitstier war er den
einen bereits zu schwach, während er den anderen als
Streicheltier
zu hässlich war. Nein, hässlich ist eigentlich das falsche
Wort.
Das wird meinem alten Kumpel nicht gerecht. Früher war
Ernesto sicherlich ein
hübsches Tier. Da bin ich mir ganz sicher,
obwohl seine besten Jahre lange vor
meiner Geburt lagen.
Jedenfalls war sein Fell im Laufe der Zeit merkbar matt
geworden.
Die Augen glänzten nicht mehr. Man merkte ihm an, dass er
müde
geworden war. Kein Feuer mehr, das in ihm lodert. Sein Weg
neigte sich dem
Ende. Nicht sofort; aber doch in einem
überschaubaren Zeitraum.
Irgendwann kam damals mein
jetziger Herr auf den Hof. Dies wusste ich bereits im Voraus, da
ich
ein Gespräch der beiden noch übriggebliebenen Stallburschen
belauschte. Diese
unterhielten sich über einen alten Knacker, der
anscheinend einen Esel kaufen
will. Sehr interessant war das
damals für mich. Man muss nämlich wissen, das es
außer mir und
Ernesto noch vier andere Esel auf dem bereits zum Verkauf
stehenden
Hof gab. Alles Konkurrenten.
Außer meinem Kumpel Ernesto
erzählte ich daher niemanden von dem von mir belauschten
Gespräch.
In einer derartigen Situation muss man vorsichtig sein. Ich hatte
mich
vorzusehen....Nur wir beide...Ja, anfangs dachte ich
wirklich, das sich jemand
finden wird, der Ernesto und mich im
Doppelpack kauft. Das wäre schön gewesen.
Ich und mein Kumpel
Ernesto...Herrliche Aussichten....Dieser konnte meinen
damaligen
jugendlichen Enthusiasmus allerdings nicht teilen. Das Alter
hatte
ihn von der rosaroten Brille der Illusion befreit. Seine
Worte holten mich
voller Ernüchterung auf den Boden der Tatsachen
zurück.....
"Ach, Benjamin... mach
dir doch nichts vor. Einen alten Esel wie mich will doch
niemand
mehr bei sich aufnehmen. Das weißt du so gut wie ich....Ich bin alt
und
schwach, für mich gibt es nichts mehr zu erwarten. Ja, dich
werden sie haben
wollen. Du bist jung und voller Kraft..."
Ernesto sollte damals recht
behalten. Eines Nachmittags war es dann soweit. Mein jetziger
Herr
und seine Frau kamen in den Stall und begutachteten die vier
anderen Esel.
Diese waren gerade mit Fressen beschäftigt. Mein
Kumpel und ich trotteten
draußen auf der Wiese herum. Es war
Frühling und noch nicht sonderlich heiß.
Gerade richtig für
einen kleinen Spaziergang...
Ernesto machte mich damals
sogar auf den Besuch aufmerksam. Ich selbst hätte den fremden
alten
Mann und die dicke Frau im Stall überhaupt nicht bemerkt.
Tja, damals war ich
zumeist mit meiner jugendlichen Eitelkeit
beschäftigt. Meine Lieblingsbeschäftigung war es, mich in dem
kleinen Teich, welcher direkt an der Wiese lag, zu spiegeln. Was für
ein herrliches Spiel! Und wie hübsch ich war !
Mein dunkelgraues
Fell glänzte geradezu. Diese ausdrucksstarken Augen! Und
jede
Veränderung bildet sich sofort im Wasser ab. Ich konnte mich
überhaupt nicht
sattsehen!
Gut, gut im Nachhinein ist
mir das natürlich ein wenig peinlich. Das gebe ich natürlich zu.
Im
Fegefeuer der Eitelkeiten ! Zu meiner Verteidigung müsste ich
natürlich
anführen, das die Möglichkeit, sich in einem stillen
Gewässer zu spiegeln, für
mich damals völliges Neuland
darstellte. Welch ungeahnte Möglichkeiten sich da
auftaten! Aber
halt....ich schweife schon wieder ab. Eine schlechte
Angewohnheit
ist das. Wo war ich noch gleich stehengeblieben? Ach
richtig.....ich
und mein alter Kumpel Ernesto. Ich stand wieder einmal am Teich
und
war voller Inbrunst mit dem Schneiden verschiedenster Grimasen
beschäftigt,
als mein väterlicher Freund zu mir hergelaufen kam:
"Benjamin, ich glaube,
jetzt ist es soweit....Benjamin, hör mir bitte zu...der alte
Mann
ist da. Du weißt doch, der wo einen von uns kaufen
will".
Ich schreckte damals relativ apruppt von meiner
Poserei auf. Trotz meiner Jugend wusste
ich, das es um meine
Zukunft ging. Und wer weiß, vielleicht nimmt der fremde
Mann auch
meinen Freund Ernesto auf. Ich wollte seine
diesbezügliche
pessimistische Einstellung einfach nicht teilen.
Jedenfalls trotteten wir beide
in Richtung Stall. Das heißt,
meinen Kumpel musste ich erst überreden. Der war
nämlich nach
wie vor der Meinung, das er sowieso keine Chanche hat und
wollte
darum auch nicht mitkommen. Mir zuliebe änderte er seine
Meinung dann aber
doch.
"Also gut, Bejamin,
wenn du meinst; dann komme ich halt mit....Alleine ist es mir
hier
draußen sowieso zu langweilig."
Gerade überzeugend
klang das nicht gerade; armer, alter Ernesto. Seine damaligen
Worte
sind immer noch derart in meinen großen und wohlgeformten
Ohren hängengeblieben, als wenn sich das ganze gerade gestern
ereignet wäre.
Tja, um es kurz zu machen;
Ernesto hatte recht....Mein heutiger Herr beachtete ihn
wirklich
nicht. Zuerst hatte der alte Bauer nur Augen für Alfonso; einen
ziemlich arroganten spanischen Deckhengst.
"Uiii, ist das ein
schönes Tier....Und so erhaben...Wirklich, oder was meinst
du,
Elfriede?".
Elfriede ist natürlich die
etwas zur Dickleibigkeit neigende Frau des alten Mannes.
Dem
aufmerksamen Leser wird diese Tatsache sicherlich nicht
entgangen sein.
Jedenfalls passte es mir überhaupt nicht, was für
ein Wirbel um Alfonso
veranstaltet wurde. Dieser aufgeblasene
Schaumschläger...Mir war damals
jedenfalls klar, das ich
schleunigst etwas unternehmen muste. Ernesto stand
neben mir. Sein
Blick war traurig wie immer.
Also erst
einmal ein
lautes, herzhaftes und forderndes "Iaaa ihaiha". Das
sollte
eigentlich ausreichen, um die Aufmerksamkeit der anwesenden Personen
auf
mich zu ziehen. Einen tieferen Sinn hat dieser Ausspruch
allerdings nicht.
Versucht man ihn in die Menschensprache zu
übersetzen, bedeutet das ganze etwa
folgendes: "Dann und
wann ist es notwendig, sich zweimal in dem Kreis zu
drehen und
kräftig mit den Ohren zu wackeln". Aber, genau wie ich mir
das
ganze gedacht hatte, nicht lange, und die geballte
Aufmerksamkeit war auf mich
gerichtet. Alfonso kochte vor Wut, das
sah ich ihm deutlich an. Aber das
geschah ihm ganz recht. Ernesto
beobachtete das ganze relativ teilnahmslos. Er
war weise genug, um
sich keine Chancen auszurechnen. In seinem Alter hat Esel
es
schwer.
Die dicke Frau
des alten
Bauers wurde damals zuerst auf mich aufmerksam. Sie kam auf mich
zu.
"Eselsche, was haste den? Must doch nicht schreien.
Bist aber ein schönes Tier. "
Ihr Mann war immer noch mit
Alfonso beschäftigt. Doch er hatte die Rechnung ohne seine
Frau
gemacht. Ganz eindeutig. Diese rief ihn nämlich sogleich
Gewehr bei Fuß.
"Alfred, jetzt komm doch mal her. Schau
dir mal das Eselsche an. Ist es nicht
niedlich?"
Jetzt noch
etwas
süßholzraspeln, und meine Chancen stehen gut. Ich musste mir
eigentlich
keine Sorgen machen; Alfonso kommt gegen meinen Charme
nicht an. So war es dann
auch...Die dicke Frau streichelte mich
zuerst eine Weile, überlegte dann kurz
und sagte schließlich
folgendes:
"Alfred, den nehmen wir mit. Keine Widerrede,
ich habe mich entschieden..."
Der alte Bauer liebäugelte
damals allerdings immer noch mit Alfonso; das merkte ich
deutlich.
Der dicken Frau war dies allerdings auch nicht
entgangen. Sie fing an, etwas
böse zu werden:
"Vergiß es, das junge
Eselsche wird genommen, und damit basta. Der ist viel niedlicher
als
der komische Ackergaul da drüben. Wenn du eine Arbeitsmaschine
suchst, dann
kaufe dir gefälligst einen Traktor".
Die Ehefrau des alten Bauers
schnaubte. Ihr Gesicht war in der Zwischenzeit tomatenrot
angelaufen.
Sie konnte es auf den Tod nicht ausstehen, wenn ihr Mann auch nur
an
Wiederrede dachte. Ihr bestimmtes Auftreten fand ich damals
außerordentlich
belustigend. Aber natürlich ließ ich mir
diesbezüglich nichts anmerken. Das sie
Alfonso als alten
Ackergaul titulierte, gefiel mir natürlich ausgezeichnet.
Die dicke Frau beendete
ihren Monolog mit folgendem Ausspruch:
"Jetzt frag schon nach,
was das Tier kostet. Ich habe nicht ewig Zeit. Los...Stehe
nicht
wie angewurzelt in der Gegend herum, du weißt doch, daß um 16.00
Frau
Suhrbier und Frau Lokowski zum Kaffeetrinken kommen. Wir
müssen vorher noch bei
Bäcker Zuckerguss vorbei, um eine
Schwarzwälder Kirschtorte abzuhohlen."
Ja, jetzt hatte ich
gewonnen. Ganz toll. Meine Zukunft war gesichert. Eigentlich
hätte
ich damals zufrieden und glücklich sein müssen. Wenn da
die Sache mit Ernesto
nicht gewesen wäre. Dieser wurde nämlich
von dem Bauernehepaar überhaupt nicht
beachtet. Als wenn er Luft
wäre. Das tat mir leid. Er schien mit seiner
Prognose also doch
recht behalten zu haben. Ein alter Esel will einfach niemand
mehr
haben. Ich beobachtete meinen alten Freund für einen Moment. Er
machte
trotz allem einen recht gefaßten Eindruck. Sein Blick war
allerdings in das
Leere gerichtet. Er wollte sich nichts anmerken
lassen, um mir meine Freude nicht
zu vermiesen. Ich spürte das.
Armer, alter Freund. Mir wurde schmerzlich klar,
das ich wohl oder
übel von ihm Abschied nehmen muß. Nichts würde mehr so sein
wie
früher; kein gemeinsames Herumtollen auf der Wiese; nichts...aus,
vorbei.
Was bleibt, ist die Erinnerung. Schade. Und ich hatte es
mir so sehr gewünscht,
daß wir zusammen eine neue Bleibe finden.
Na ja, das war damals die erste große
Enttäuschung meines noch
jungen Esel lebens.
Das weitere ging dann
relativ schnell. Bereits ein Tag, nachdem mich das Ehepaar zum
ersten
Mal gesehen hatte, wurde ich von ihnen abgeholt. Sie hatten
sich extra einen
von diesen komischen Anhängern ausgeliehen, in
welchem normalerweise Pferde zu
irgendwelchen Sportveranstaltungen
transportiert werden. Ernesto und ich waren
gerade auf der Weide
und spielten fangen. Er machte an diesem Tag einen recht
müden
Eindruck. Wir wußten beide, das es alsbald Zeit sein wird, Abschied
zu
nehmen. Wahrscheinlich sogar für immer. Aber so schnell....
Wenigstens noch ein
paar Tage. Aber nein... die dicke Frau des
alten Bauern schien darauf
spezialisiert zu sein, Nägel mit
Köpfen zu machen. Sie parkten das Auto direkt
neben dem Stall.
Ernesto sah die beiden als erster:
"Schau, Benjamin, du
bekommst Besuch. Dein neuer Herr will dich abholen...."
Im
ersten Moment wollte ich mich verstecken. Der Gedanke war einfach;
wenn der alte Bauer
mich nicht findet, würde er wieder
wegfahren... Und das hieß, ich könnte noch
ein paar Tage mit
meinem Kumpel verbringen. Ernesto hielt aber überhaupt nichts
von
dieser Idee:
"Ach, Bejamin; daß
bringt doch nichts. Nachher entscheiden sie sich für Alfonso.
Und
dann? Auf mich brauchst du keine Rücksicht nehmen. Ich bin
alt; aber du, mein
Freund bist jung und voller Kraft. Dein Weg
liegt noch vor dir. Ich bitte dich;
laufe nicht davon..."
Die Stimme des Freundes
klang ernst und gefaßt. Tief in meinem Inneren wusste ich, das er
recht
hatte. Das Schicksal kann manchmal so ungerecht sein...Das
weitere ist schnell
erzählt. Ehe ich mich versah, befand ich mich
auch schon in dem Anhänger. Dann
fuhr das Auto los. Ernesto stand
allein auf der verlassen wirkenden Weide und
schaute mir nach. So
lang er konnte. Seine Zukunft war vage und ungewiss. Ich
aber war
fein raus. Nur weil ich jung war und mich auf das süßholzraspeln
verstand....
Verrückte, oberflächliche Welt.
Ja, das alles ist jetzt
lange her. Seither bin ich bei dem alten Bauern und seiner
dicken
Frau. Wie gesagt, ich kann mich eigentlich nicht beklagen.
Ernesto ist es
sicherlich schlechter ergangen. Aber dennoch... In
letzter Zeit fehlt mir
etwas. Was, das ist, kann ich nicht genau
sagen. Irgend etwas unbestimmtes, was
tief in mir lodert. Wenn
wenigstens mein alter Kumpel Ernesto hier sein könnte.
Dann wäre
mir sicherlich nicht so langweilig. Wir könnten auf der Wiese
herumtollen
und fangen spielen. Oder den alten
Bauern
etwas ärgern... Aber so... Jeden Tag das selbe.
Die einzige Abwechslung, die
ich habe, ist die Straße, welche ein paar Meter neben meiner
Wiese
vorbeifährt. Da fahren oft Autos vorbei. Manchmal auch ganz große
und
lange. Die zu beobachten, macht mir Spaß. Ich überlege mir
dann immer, wo die
Straße hinführt. Sicherlich gibt es da auch
viele Mohrrüben...Oder aufregende
Geheimnisse...Vielleicht auch
andere Esel. Neue Freunde....Am Ende sogar
Ernesto.. Nicht immer
nur der alte Bauer und seine dicke Frau. Aber das werde
ich
wahrscheinlich nie herausfinden. Mein Gatter ist immer abgeschlossen.
Da
ist der alte Mann vorsichtig...
Eines hat er allerdings
vergessen. Im Bretterzaun im hinteren Teil der Wiese ist locker
und
morsch. Zwei, drei kräftige Tritte mit meinem Hufen, und ich
müsste in der
Freiheit sein...Und dann einfach der Straße nach.
Das heißt, am besten den
kleinen Feldweg neben der Straße. Das
wäre weniger auffällig. Ein Esel mitten
auf einer vielbefahrenen
Landstraße; das muss man sich einmal vorstellen...
Nicht
auszudenken...Außerdem viel zu gefährlich. Zum Überfahren werden
bin ich
noch zu jung. Ein Esel meines Alters und Schlages muss
schließlich noch etwas
erleben...
Jawohl...hier werde ich mit
Sicherheit keine Abenteuer erleben können. Bis an mein Lebensende
in
diesem kleinen Gatter...Nein wirklich nicht. Für einen Esel meiner
Herkunft
ist das unwürdig. In meinen Adern fließt schließlich
das Blut eines
Entdeckers...
Der werte Leser fragt sich
jetzt , wieso ich mir diesbezüglich so sicher bin. Vor allem
im
Anbetracht der Tatsache, das der gute alte Barnabas bislang immer in
der
sicheren Obhut eines fürsorglichen Herren gelebt hat. Nun, so
etwas fühlt Esel eben. Außerdem bin ich niemanden
Rechenschaft schuldig. Ja, ich weiß, jetzt bin ich natürlich wieder
dem Klische
eines störrischen Grautieres gerecht geworden. Na und
wenn schon....
Das einzige Problem, das ich
bezüglich meiner Abenteuerlust habe, ist mein Herr, der alte
Bauer.
Er würde sich sicher schreckliche Sorgen machen, wenn ich eines
Morgens
nicht mehr in meinem Gatter bin. Und seine dicke Frau
erst... Der gute, alte
Barnabas ist nicht mehr da. Wie
schrecklich. Wahrscheinlich würden sie sogar
ein Verbrechen
vermuten. Eselnapping...Was für ein lustiges Wort. Aber kann man
von
einem Grautier in den besten Jahren wirklich verlangen, daß es
immerzu
Rücksicht nimmt? Irgendeinmal werde ich so als wie
Ernesto sein. Und dann?
Immer noch in diesem Gatter bei dem alten
Bauern? Eben so resignierend, wie mein
lieber, alter Freund? Was
habe ich dann von meinem Esel leben gehabt? Jeden
zweiten Tag eine
saftige Mohrrübe; und das soll es gewesen sein? Ernesto ist
in
seiner Jugend immerhin mit einem Schäfer durch die Lande
gezogen. Da hat er
dann die tollsten Abenteuer erlebt. Mus
ziemlich aufregend gewesen sein. Und
ich verschenke meine besten
Jahre. Ein Jammer ist das. Aber was soll Esel auch
machen. Früher
waren die Zeiten eben aufregender....
Ich beschloss, daß ich mich
genug bemitleidet hatte, und trottete in Richtung Apfelbaum, um
dort
auf den alten Bauer zu warten. Na, ein kleines Nickerchen hat noch
keinem
Esel geschadet...Gevatter Schlaf ließ dann auch nicht
lange auf sich warten.
" Iaaaa, Barnabas, feine Mohrrübe
fürs kleine Eselchen..."
Träum ich oder wach ich, sing
ich oder lach ich. Gelegentlich mutet es schon etwas komisch an,
was
einem für seltsame Sachen durch den Kopf schwirren, wenn Esel zu
lange in
der Sonne geschlafen hat. Eines wunderte mich
allerdings...Ich hatte doch erst
gestern eine Mohrrübe
bekommen...Seltsam, normalerweise ist der alte Bauer mit
meinem
Lieblings gemüsse nicht so großzügig. Na, vielleicht wird er
langsam
vergesslich. Kann ja sein. Aber was mache ich mir
eigentlich Gedanken? Um so
mehr Mohrrüben, um so besser...Eine
altbewährte Eselsweisheit.
Der alte Bauer rauchte wie
üblich seine übelriechende Pfeife. Er trug einen alten
blauen
Overal, welcher voller Ölflecken war. Dazu einen ziemlich
zerzausten Strohhut.
"Ich weiß doch, wie die meinem
Freund Barnabas schmecken. Sollsts schließlich gut haben
bei
mir...."
Mein Herr hielt mir die
Mohrrübe direkt vor das Maul. Theoretisch muste ich nur noch
hinein
beißen. Ich hielt kurz inne. Tja, Esel denken erst nach, bevor
sie
handeln...Ganz im Gegensatz zu Pferden. Jedenfalls überlegte
ich, ob es nicht
geschickter wäre, zuerst etwas süßholzuraspeln
und erst anschließend in den
saftigen Genuss zu beißen. Das
würde dem alten Bauern sicherlich gefallen. Aber
mein Fleisch war
wieder einmal zu schwach. Na ja, eins, zwei, drei und mit
der
Mohrrübe war es vorbei. So ist das eben. Außerdem sind wir
Esel keine
Streichel maschinen. Dahingehend hatte ich den alten
Mann schließlich bereits am
Vortag belohnt.
"Das freut mich aber,
das es dir so gut gescheckt hat, Barnabas. Aber jetzt must du
mich
entschuldigen. Ich sollte für das Eselsche noch den Stall
richten..."
Sprachs, und verschwand in meine Behausung...
So wie jeden Tag. Ach, wenn Ernesto nur hier
wäre. Ich überlegte,
was ich mit dem Nachmittag anfangen sollte. Schon wieder
ein
Nickerschen halten wollte ich nicht. In diesem Fall also
das
"Esel-dreh-dich-in-dem-Kreis-herum-Spiel". Das
spiele ich recht oft,
wenn mir langweilig ist. Ist im Grunde
eigentlich ganz einfach. Der Leser wird
das Ganze wahrscheinlich
auch für relativ albern halten. Na, und wenn schon. In
der
Einsamkeit fällt Esel bekanntlich viel Unsinn ein. Aber halt, ich
habe den
Leser ja noch überhaupt nicht in die Spielregeln
eingeweiht. Na, das wird jetzt
aber schleunigst nachgehohlt....
Esel stellt sich also auf
eine möglichst große Wiese und schließt die Augen. Dann heißt
es
bis zwölf zu zählen...Gleichzeitig dreht sich Esel möglichst
schnell im Kreis.
Dann heißt es die Augen aufzumachen, und
möglichst schnell loszulaufen.
Herrliches Spiel...Es ist einem
immer so herrlich schwindelig dabei...
"Barnabas, was ist
denn los mit dir? Haste mich nicht gesehen? Du rennst mich
ja
um..."
Das war natürlich peinlich. Das mein Herr
aber ausgerechnet just zu dem Zeitpunkt aus
dem Stall laufen
mußte, wo ich "Esel-dreh-dich-in-dem-Kreis-herum"
spiele?
Was für eine Verkettung unglücklicher Unglücklicher Umstände...Na
ja,
damit kann ich mir wohl für die nächsten Tage zusätzliche
Mohrrüben
abschminken. Wie töricht, wie töricht !
Aber auch dieser Nachmittag
war irgendwann vorbei. Es dämmerte, und die Nacht stand vor
der
Türe. So wie jeden Tag. Ich beobachtete die Landstraße. Es
waren
verhältnismäßig wenig Autos unterwegs. Somit gab es auch
nicht viel zu
beobachten. Ein äußerst träger Abend. Ob der alte
Bauer wohl arg traurig wäre,
wenn ich mich auf Wanderschaft
begebe? Schwer zu sagen...Nach unserer
nachmittaglichen Koalision
hat er recht schnell das Weite gesucht. Ich glaube
aber nicht, das
er dem guten, alten Barnabas böse ist. Eigentlich ist er
die
Gutmütigkeit in Person. Was Ernesto im Moment wohl macht?
Hoffentlich ist er
damals noch irgendwo untergekommen. Vielleicht
ganz in der Nähe? Wer
weiß...möglich ist alles. Irgend wie
hatte ich das Bedürfnis, heute Nacht Nägel
mit Köpfen zu
machen. Hinaus in die Welt. Abenteuer Abenteuer. Ein Leben, in
dem
die Langeweile keinen Platz hat ! Was für herrliche
Aussichten sich da
auftun...Das einzige, was ich tun muss, ist es,
zwei, dreimal gegen den morschen
Teil des Gatters zu treten. Meine
Eintrittspforte in eine aufregend Zukunft!
Jawohl, heute wird es
endtlich soweit sein ! Ich habe lange genug gewartet. So
wahr ich
Benjamin heiße! Der alte Bauer und seine dicke Frau müssen
mich
verstehen! Das geruhsame Leben in fürsorglicher Obhut ist
Gift für mein wild
pochendes Herz. Die Welt wartet darauf, von
mir erkundet zu werden. Wohl wahr,
wohl wahr! Die Zeit ist reif
für Benjamin, den Eroberer! Keine Sekunde, die
noch zu
verschenken ist!
Mein Kopf glühte. Mir war
etwas schwindelig. Aber egal. Sogleich an die Arbeit. Jetzt
hält
mich nichts mehr auf. Und schon gar kein morscher Holzzaun.
Lächerlich!
"Mach dich auf dein Ende gefaßt, Zaun.
Jetzt kommt Benjamin, der Rammbock..."
Sprachs, und
rannte mit Karacho gegen das mir in dem Weg stehende Hindernis.
Zuerst einmal,
dann noch ein zweites Mal....Der in mir brennende
Enthusiasmus verlieh mir nie
für möglich gehaltene Kräfte. Mein
Widersacher hatte nichts entgegenzusetzen.
Schwupps, und ich war
in dem güldenen Garten der Freiheit....Na also, daß war
doch gar
nicht so schwer gewesen...Die erste Tat war vollbracht. Welt,
hab
acht! Benjamin der Esel dreht seine Runden....
Illustration stammt von der künstlerin ocin9 - diese könnt ihr hier besuchen : klicken