Sonntag, 10. November 2013

Chorus 3 oder Unzufriedenheit ist aller Taten Anfang (3)







Jetzt heißt es, kühlen Kopf bewahren! Nicht übermütig werden! Die Häscher lauern überall.
Also beschloss ich, das es am besten sein wird, auf dem kleinen, teilweise durch
den Wald gehenden Feldweg zu bleiben. Auf der Straße hätte der gute, alte
Benjamin zu viel Aufsehen erweckt. Inzwischen war es zapfenduster. Eine klare
Nacht; der Himmel war voller Sterne. Der arme alte Bauer! Aber das war jetzt
nicht mehr zu ändern. Mein Entschluss stand fest; zum Umkehren war es zu spät.

Vorsichtig, vorsichtig Benjamin...da vorne....da ist doch wer. Ein Mensch! Ja,
tatsächlich...Vielleicht hundert Meter entfernt! Er hat einen Schlapphut auf...
Kühlen Kopf bewahren, Benjamin; kühlen Kopf! Wenn er mich erkennt, bin ich
geliefert! Ach, lirum, larum, Löffelstil. Papperlapapp !
Ich bin schneller als er. Ein Esel in den besten Jahren! Jawohl... Außerdem, endlich,
endlich....das erste wirkliche Abenteuer steht vor der Tür. Mein Herz klopft,
als wenn es außer Rand und Band wäre.
Ich beschließe, mich an den Wandersmann heimlich, still und leise anzuschleichen. Tip, tap....ganz vooorsichtig. Ja genau. Und dann begrüße ich ihn mit einem lauten und kräftigen
"Iaaaaaaaaaaaaaa" (Übersetzt in die Menschensprache bedeutet das
soviel wie "Gestatten....mein Name ist Benjamin, der Abenteurer. Wie ist
ihr werter Name, Fremder?"). Das wird ein Spaß.
Der Wandersman hat einen riesigen Rucksack auf den Rücken gespannt. In seiner rechten Hand
trägt er einen Stock. Auf diesem stützt er sich auf. Er pfeift ein Liedchen vor sich hin. Sein Mantel ist etwas schmutzig. Meine Anschleich Taktik scheint aufzugehen. Inzwischen habe ich mich auf etwa fünf Meter herangepirscht. Noch etwas näher, dann kann das Abenteuer beginnen. Ich freue mich wie ein kleines Fohlen. Lustig, lustig, trallala, gleich ist Benjamin, der Esel da. Kräftig
Luft geholt, und los geht es........

"Iaaaaaaaaaaaa"

Das saß. Der Wandersman ließ vor Schreck seinen Stock fallen. Er strauchelte etwas und
landete im Gras. Sein Gesicht war weiß wie Stutenmilch.

"Ein Esel, ein leibhaftiger Esel...Wach ich, oder träum ich?"

Der arme Kerl. Das er sich aber auch gleich derart erschrecken musste? Ich war wieder einmal
eindeutig über das Ziel hinausgeschossen. Der Wandersmann starrte mich weiterhin
ungläubig an. Er musste wohl glauben, einer Sinnestäuschung aufgesessen zu sein.
Ich überlegte, was ich tun sollte. Einfach davonlaufen? Nein, das ging
nicht....Benjamin ist ein Abenteurer und kein Schurke. Der Wandersman schien ähnlich alt als mein letzter Herr zu sein. Sein dichter Bart war bereits grau. Er öffnete seinen Rucksack, kramte eine große Korbflasche hervor und nahm einen tüchtigen Schluck.

"Ahh....das tut gut. Der Schrecken sitzt mir noch in alle Gliedern. Grauer Kamerad, da hast du dem alten Hardy aber einen tüchtigen Schrecken eingejagt. Schleicht sich mir nichts dir nichts von hinten an einen arglosen Weltenbummler heran...."

Hardy hatte inzwischen die Position eines Schneiders eingenommen. Den ersten Schrecken schien
er überwunden zu haben. Seine Gesichtsfarbe hatte sich bereits wieder dem Inhalt seiner Korbflasche angenähert. Na also....war doch gar nicht so schlimm.....Ich hatte aber trozdem noch ein einigermaßen schlechtes Gewissen...

"Komm, Grauer....Nur nicht so schüchtern, setzt dich ruhig ein wenig zu mir hin. Oder
willst du gleich wieder davonlaufen? "

Der Wandersmann stopfte sich eine Pfeife, welche er in seiner Jackentasche verstaut
hatte, und begann in aller Seelenruhe zu paffen. Kleine Rauchkringel stiegen
ihm aus der Nase. Das sah lustig aus...Fast wie diese Dampflockomotiven, von
denen mir Ernesto immer erzählt hat. Er schaute zu mir hoch.

"Brauchst wirklich keine Angst zu haben; Schlappohr. Ich kann es mir zwar gut vorstellen,
das du irgendwo abgehauen bist. Aber das ist deine Sache. Der alte Hardy
verpfeift niemanden. Altes Abenteuerrerenwort. Also, was ist? Nur nicht so
schüchtern...."

Ich schien wirklich großes Glück zu haben. Kaum aus meinem Gatter ausgebüchst, schon
treffe ich auf einen richtigen Abenteurer. Mein Herz jauchzte vor Freude. Ich
machte es mir direkt neben dem Wandersmann gemütlich. Der Himmel war voller
Sterne.

"Na, hab ich es doch gewusst, Schlappohr....Der alte Hardy kennt seine Pappenheimer. Du
bist also doch kein Hasenfuß..."


Na, und jetzt ? Ich entschloss mich für ein zweites, herzhaftes "Iaaaaaaaaaaaaa".
Gut, gut, dass mich der alte Wandersmann natürlich nicht versteht, war mir schon
klar. Schließlich ist er kein Esel. Aber irgend ein Zeichen mußte ich einfach
von mir geben. Nur um nachzusehen, ob meine Stimmbänder noch funktionieren. Man
kann ja nie wissen...Ich war gespannt, wie mein Abenteuererleben weitergehen
wird. Nun, die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Und der alte Hardy
sprach folgendes:
"Weist du was, Schlappohr....Willst du mich nicht ein wenig auf meiner Wanderschaft
begleiten? Du könntest mir helfen, meinen schweren Rucksack zu tragen. Sie
selbst, ich bin ein alter Mann. Im Gegenzug würde ich dich in die Kunst des
Abenteuerns einweisen....Nun, wie sieht es aus. Gib mir ein Zeichen, Grautier..."

Man, eine Ausbildung als Abenteurer...Das wäre toll. Hardy schien wirklich nett zu sein.
Na, da musste ich nicht lange überlegen. Wirklich nicht. Abenteurer...das habe
ich mir doch schon lange gewünscht....Ich wackelte also heftig mit meinen
Ohren. Hoffentlich versteht das der alte Wandersmann...

"Hab ich doch gewusst. Du bist wirklich von schnellem Entschluss. Aber das zeichnet einen
Abenteurer schließlich aus. Ausgezeichnet, wirklich ausgezeichnet. Das erste
Ziel unseres gemeinsamen Weges wird Katzenbrühl sein. Das ist ein kleines
Städtchen, welches gar nicht weit entfernt von hier liegt. Vielleicht ein Stündchen, vielleicht auch zwei....auf gar keinen Fall sind es aber drei".


Herrlich...eine richtige Stadt. Das versprach, aufregend zu werden. Ich war bereits voller
freudiger Erwartung. Hardy kramte in seinem Rucksack und sprach folgendes :
"Aber bevor wir losmaschieren, habe ich dir noch eine kleine Stärkung. Sollst sehen,
das ich es gut mit dir meine..."
Eine Mohrrübe...eine Mohrrübe; ganz für mich allein. Ich könnte jauchzen vor Freude.
Damit war heute wirklich nicht mehr zu rechnen. Bereits der Anblick des Gemüses
ließ mir das Wasser in meinem Eselsmaul zusammenlaufen. Was für eine Leckerei;
welch glücklicher Tag heute nur ist. Wenig später ging es dann auch los...

Der Rucksack war leichter, als ich gedacht hatte. Hardy lief neben mir und schmauchte an
seiner Pfeife, welche er mit einem Enten verzierten Feuerzeug entzündete. Oder
waren es gar Ganter, welche darauf abgebildet sind? Nicht so wichtig, nicht so
schlimm – halt den Kopf gerade und sing. Wenn der alte Bauer morgen an mein
Gatter kommen wird, bin ich schon längst in Katzenbrühl... Tja, er wird sich
sicherlich Sorgen um denn guten, alten Benjamin machen....Der arme Mann....Und
seine dicke Frau erst... Ach, nicht schon wieder....Ich beschloß, nicht mehr an
die Vergangenheit zu denken. Nur noch die Gegenwart und Zukunft....Hier warten
die Abenteuer. Ja, genau...

Der alte Mann pfiff ein Liedchen vor sich hin. Das klang lustig und beschwingt. Seine Pfeife
war inzwischen wieder in dem Rucksack gelandet. Katzenbrühl, hab acht....Benjamin der Abenteuerer steht vor den Pforten! Heisa, Hussa...!

Und so wanderten wir durch Wald und Flur. Müdigkeit war ein Fremdwort. Hardy hielt
plötzlich apprupt an.

"Halt an, Schlappohr....schau, da liegt etwas..."

Er bückte sich....und tatsächlich! Ein Eichhörnchen. Es schien irgend etwas zu haben.  Jedenfalls kam es mir reichlich seltsam vor, das der Nussfreund mir nichts dir nichts auf dem Boden
herumliegt.  Na, Esel wird sehen....

"Der arme Kerl muss wohl von dem Baum da drüben heruntergefallen zu sein. Jedenfalls scheint er am rechten Bein verletzt zu sein. Wir können ihn doch nicht einfach seinem Schicksal überlassen. Oder was meinst du, Grauer?"

Tja, wo er recht hat, hat er recht. Nein, das wäre wirklich eine Himmel schreiende Ungerechtigkeit gewesen. Der arme Nager...Ich nickte heftig mit meinem graumelierten Haupte. Hardy schien sich zu einem Entschluss durchgerungen zu haben.

"Tja, dann müssen wir ihn eben mitnehmen. Ja, eine andere Lösung fällt mir nicht ein..."

Gesagt, getan...Das Eichhörnchen nahm also in der linken Seitentasche des Rucksackes Platz. Nur sein Kopf schaute heraus...Ich spürte, das unser Gast etwas Angst hatte. Er zitterte mit jeder Faser seines kleinen Körpers. Dummer, armer Kerl.
Benjamin, der Esel tut keiner Fliege etwas zu leide. Abenteurer sind doch keine Unholde...Allerdings nicht! Ach...das Eichhörnchen wird sich an seine
Situation schon noch gewöhnen; früher oder später...

Und so waren wir also fortan zu dritt. Wenn ich mir vorstelle, das ich heute morgen noch
friedlich in meinem Gatter gestanden bin...Und jetzt! Ein aufregendes und gefahren volles Eselsleben...Was aus dem kleinen Nager wohl werden wird?
Hoffentlich erholt er sich bald wieder. Na ja, die Verletzung wird schon nicht so schlimm sein. Alles wird wieder gut... Das Eichhörnchen schien eingeschlafen zu sein. Jedenfalls schlotterte es nicht mehr. Die Sternlein leuchteten uns dreien den Weg nach Katzenbrühl. Wie weit es wohl noch sein wird? Mir war ganz unruhig in meinem Fell. Was für ein aufregender Tag !
Heida daus, Benjamin der Abenteurer ist außer Haus. Hardy gab mit Hilfe seiner Pfeife immer noch
Rauchzeichen von sich.  Er lief ein wenig vor mir. Sein Mund summte ein mir unbekanntes Liedchen. Der alte Bauer wird mein Verschwinden sicher noch nicht bemerkt haben. Es ist schließlich erst Nacht. Wahrscheinlich schläft er schon. Hach, Benjamin schläft noch lange
nicht! Ein Abenteuererleben kennt keinen Schlaf. Für unsereins heißt es allzeit
auf der Hut zu sein. Heisa ! Jawohl ! Genau so ist es. Hardy erweckte mich schließlich aus den Aufregung verheißenden Tagträumen.

"Tja, Schlappohr, schon bald sind wir in Katzenbrühl. Dort werden wir uns eine Pause gönnen. Das letzte Stück des Weges liegt vor uns". 



Meine Aufregung wuchs noch einmal an. Eine richtige Stadt! Schon bald. Das habe ich mir doch immer schon gewünscht. Und tatsächlich, mein neuer Freund schien sich nicht getäuscht zu haben. Die Lichter des Städtchens lagen direkt vor uns. Ein paar Minütchen des Wanderns noch. Katzenbrühl hab acht! Du schlummernd Ansiedlung; eingebettet in beschaulich Tal. Benjamin samt Anhang naht. Bereit für 1001 Abenteuer ! Vorbei sind deine ruhigen Tage.

Ich könnte singen und springen vor Freude. Iaaa, was für ein Tag. Der kleine Nager schläft
immer noch. Nichts von alledem bekommt er mit. Unschuldiger, kleiner Wegbegleiter. Doch hab keine Angst; Benjamin der Eroberer ist von der Partie. Alles Unglück von dir wendend. Der Advokat der Schwachen und enterbten. Ach, wenn Barnabas mich nur so sehen könnte. Ich auf dem Weg in eine Atem raubende Zukunft. Treuer, alter Freund, warum nur kannst du nicht hier sein. Doppelt so wohl wäre es mir um das selige Eselsherz! 

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