Samstag, 6. April 2013

Die Angst des Radfahrers vor der siebten Kurve (1)

Es ist Dienstag Mittag und glühend heiß. Sicherlich 30 Grad Celsius im Schatten. Kein Lüftschen, keine Abkühlung, keine Besserung in Sicht - schon seit Tagen. Alte Leute sterben wie Fliegen. Das Gewerbe der Totengräber erlebt seinen alljährlichen saisonalen Boom. Die Tageszeitungen sind voller schwarzer Kreuze. Wer kann, bleibt zumindest tagsüber zu Hause. Herr R. kann nicht. Er sitzt im Stadtpark und wartet. Erst 12.45. Verdammt. Das heißt, noch zwei Stunden ausharren. Zwei Stunden in dieser Hitze! Schrecklich. Na, und wenn schon. Die letzten 13 Tage ging es ja schließlich auch. Herr R. wischt sich mit einem großen, hellblauen Stofftaschentuch den reichlich vorhandenen Schweiß von der Stirn. Das Wetter nimmt ihn ganz schön mit. Er verflucht sich dahingehend. Einem durchtrainierten Radfahrer wie ihm sollte so etwas nicht passieren. Scheiß darauf. Herr R. ist schließlich auch nur ein Mensch. Menschen sind keine Maschinen. Gegen 13.00 nickt unser Held ein. Der Schlaf hatt ihn also doch noch drangekriegt.
Die Sonne nimmt hingegen auf unseren Helden keine Rücksicht und kocht den Planeten Erde weiter in Richtung Siedepunkt; inklusive eines träumenden, ca. 35 jährigen Mannes auf einer Parkbank. 


(Illustration von 0cin9 --> zum Blog der Künstlerin hier klicken)

Mir ist schweindelig und schlecht. Verdammt. Wo bin ich? Wieviel Uhr? Wieviel Uhr? Ich habe eine Armbanduhr, eine kleine schwarze Armbanduhr.
Die kleine Armbanduhr sagt mir, das es 14.40 ist. 14.40, das ist gut. Sehr gut sogar. Dann kann ich jetzt nach Hause gehen. Wird ja auch Zeit. Ich habe schließlich lange genug gewartet. Aber wo bin ich eigentlich?
Panische Orientierungsversuche. Idiot, natürlich im Stadtpark. So wie jeden Tag. In der prallen Hitze eingeschlafen. Nachdem ich mir wegen der aktuellen Urzeit und meines Aufenthaltsortes klar geworden bin, maschierte ich los in Richtung U - Bahn Haltestelle. Ich muß mich etwas beeilen. Auf keinen Fall zu spät kommen. Das wäre schlecht.
Aber zuvor gehe ich hinter eine ungefähr hundert Jahre alte Eiche und übergebe mich. Ziemlich aprupt und reichlich. Egal, besser hier als nachher in der U - Bahn. Wäre peinlich, einfach so in die Menge zu kotzen. Nach ein paar Sekunden kommt noch einmal ein Schwall. Eine rote, stinkende Flüssigkeit; garniert mit kleinen Fleischstückschen.
Klarer Fall von Sonnenstich. Kein Wunder, nach fast sieben Stunden in der prallen Hitze. Ich putze mir den Mund ab und laufe weiter. Ziemlicher Schräggang. Es wird Zeit, daß ich nach Hause komme. Nur keinen Verdacht erwecken. Ich habe einen Geschmak im Mund, als ob ich aus einer Güllegrube getrunken hätte. Scheußlich. Da muß etwas dagegen getan werden. Ich gehe zum Kiosk gegenüber von der S - Bahn Haltestelle und kaufe mir eine große Packung Zitronenlutschbonbons. Extra stark. Ich lutsche zwei davon. Danach noch einmal eines.

Siehe da, der Kotzgeschmak in meinem Mund ist weitgehend weg. Scharfer Zitronengeschmak. Urzeit 14.48. Endtlich. In zwei Minuten kann ich nach Hause fahren. Dank Väterschen Sonne habe ich immer noch eine ziemliche Schlagseite. Dazu stinke ich penetrant nach Zitronenbonbons. Man muß mich für einen Säufer halten.
Na, wenn schon. Besser als nach Kotze zu stinken. Nachdem ich dem Kontrolleur meine Jahreskarte gezeigt habe, nehme ich in einem dieser abgrundtief häßlichen, rötlichen und ausklappbaren Plastiknierensesel platz. Die bequemen, gepolsterten Sitzmöglichkeiten sind bereits allesamt besetzt. Das ist wieder einmal typisch. Die Fahrt geht endtlich los. Zuerst langsam, dann immer schneller.
Mein Magen hat sich momentan glücklicherweise wieder etwas beruhigt. Da mir langeweilig ist, schmeiße ich noch einmal eines von diesen extrastarken Zitronenbonbons ein. Ich schaue zum Fenster hinaus. Überdimensionierte Werbeplakate, welche mit bestenfalls durchschnittlichen Graffitis zugeschmiert sind. Todlangweilig.
Nach ein paar Minuten fahren wir endtlich übertage. Dem Licht entgegen. Die Stadt scheint zu zerschmelzen. Mein Magen fängt sofort wieder an, Hula Hup zu tanzen. Kein Wunder. Die Sonne gibt sich schließlich auch alle Mühe, meinen Kopf wegzublasen. Was liegt da näher, als für einen Moment die Augen zu schließen. Schon besser.
Ich muß unbedingt verhindern, in den Wagon zu kotzen. Wäre ein biserl peinlich gewesen. Die anderen Fahrgäste bringen für so etwas nur sehr begrenzt Verständnis auf. Nachdem ich die gelbe Geschmaksbombe in meinem Mund aus Versehen heruntergeschluckt hatte, schmeiße ich mir zwei Bonbons gleichzeitig ein. Meine Zunge brennt etwas. Die S - Bahn Wagons sind inzwischen brechend voll.

Direkt vor mir steht ein ungefähr 75 Jahre alter Mann, welcher sich ziemlich verkrampft auf seinen massiven und reich plakatierten Spazierstock aufstützt.

Der Alte streckt mir seinen Arsch fast in das Gesicht. Zum Glück blendet mich die Sonne jetzt nicht mehr so stark. Mein Magen läßt mich momentan wieder in Ruhe.

Trotz meines Sonnenstiches nehme ich mir vor, später noch eine ausgedehnte Radtour zu unternehmen.

Raus aus der Stadt. Weg von den Menschen. Den Körper trainieren. In die Natur. Kein größeres Problem, wenn man in der Großstadt B. in einem idilischen Vorort wohnt. Drei, vier Kilometer, dann liegt der Betondchungel hinter dir. Du bist frei.

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