Samstag, 6. April 2013

Die Angst des Radfahrers vor der siebten Kurve (3)

Ich setzte die Packung an und pumpte das Zeug in mich hinein. Das tat gut. Erika kam in die Küche und meinte mit etwas pathetischem Tonfall, das sie mit mir reden muß. Sie machte ein ernstes Gesicht. Da blieb mir wohl nichts anderes überig. Ich nahm eine halbe Asperin gegen meine Kopfschmerzen und folgte ihr in Richtung Wohnzimmer. Auf das Schafot. Mein Herz raste wie ein Formel 1 Wagen. Ich setzte mich auf die Couch. Ihre Blicke spießten mich auf. Ich brachte es nicht fertig, ihr länger als eine halbe Sekunde in die Augen zu sehen. 1:0 für sie. Eine nicht zu unterschätzende Spannung lag in der Luft. Ich versuche zu lächeln. Urzeit 15.30. Erika knallte ein Kuvert auf den Tisch. Da hatten wir den Salat. Ich fühlte, wie sich mein Magen zusammenzog.


(Illustration von Ocin9 --> zum Blog der Künstlerin hier klicken)


“Was ist das? Was ist das?”. Ihre Stimme überschlug sich. Meine Ohren schmerzten. Erikas Kopf war rot wie eine spanische Hochlandstomate. Er schien jeden Moment zu platzen. Sie war sichtlich in Rage. Da ich nicht wußte, was ich mit meinen Händen anfangen sollte, grief ich in die Hosentasche und nahm eines von diesen extrastarken Zitronenbonbons. Erika hatte inzwischen Tränen in den Augen. Allerdings vor Wut. Gefährlich. Ich muß die Situation dringend entschärfen. Trotz des Asperins hämmerte mein Kopf nach wie vor. Jede Sekunde schien sich in Richtung Ewigkeit auszudehnen. Hatte sie meine Kündigung also doch gefunden. Das Zitronenbonbon in meinen Händen war zwischenzeitlich etwas weich geworden. Fäden an meinen Händen. Unangenehm. Da ich heute schon genügend von dem Zeug gelutscht hatte, beschloß ich, es meiner rasenden Ehefrau anzubieten. Sauer macht ja bekanntlich lustig. Und lutschen beruhigt. Das hätte ich allerdings lieber bleiben lassen sollen. Definitiv. Die Tragödie nahm ihren Lauf.
Sie nahm mir die gelbe, aufgeweichte Geschmaksbombe aus der Hand und schmieß sie mir gegen den Kopf. Wumm. Das saß. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ihr Kopf stand kurz vor der Explosion.
“Steck dir dein blödes Bonbon sonst wohin. Sag mir lieber, warum du mich angelogen hast”. Ihre Stimme überschlug sich. Die Situation drohte zu eskalieren. Sie nahm eine Glasschale von dem Wohnzimmertisch und schmetterte sie gegen die hinter mir liegende Wand.
Mit voller Wucht. Einfach so. Als ob es das selbstverständlichste auf der ganzen Welt wäre. Alle Achtung. Ich duckte mich instinktiv. Das Geschoß schlug ungefähr einen Meter neben mir ein. Die Schale war sofort hinüber. Da wird sich meine Tante aber freuen.
“Du must ja schon wochenlang gewußt haben, daß sie dich rausgeworfen haben. Alle wissen es wahrscheinlich. Alle, bis auf mich”. Sie zündete sich eine Zigarette an und zog unglaublich fest. Wenn Erika in Rage ist, raucht sie immer. Ich verstand das nicht. Wer raucht, hat keine Kondition. Meine Kopfscherzen waren mir immer noch treu geblieben.
“Jetzt sag doch endtlich etwas. Du feiges Schwein. Wo hast du dich die letzten zwei Wochen vormittags eigentlich immer rumgetrieben? Du bist doch morgens immer aus dem Haus gegangen. Oder sollte ich mich da etwa getäuscht haben? Wie kann man nur so feige sein. Das ist ja wieder einmal typisch.”
Erika hatte ihre Zigarette in Windeseile zu ende geraucht. Sie ließ sofort die nächste folgen. Ich überlegte, was ich ihr sagen soll. Irgend etwas, damit sie endtlich Ruhe gibt. Das Gekeifere wurde mir langsam zuviel. Außerdem hatte ich Lust, radfahren zu gehen. Nur raus aus der Stadt. Ruhe. Das wäre schön. Ich frage mich, was sie eigentlich will. Sie weiß doch anscheinend Bescheid. Meine Gehirnzellen ratterten. Es fiel mir schwer, mich zu konzentrieren. Ich mußte an die Kotze in der S - Bahn denken. Keine Ahnung, wieso. Und lache los. Das ist mein zweiter Fehler. Innerhalb einer viertel Stunde. Alle Achtung. Auf jeden Fall weltrekordsverdächtig.
Wenn Erika eines haßt, dann den Sachverhalt, ausgelacht zu weden. Darauf reagiert sie alergisch. Man wird jetzt einwerfen können, daß ich sie doch überhaupt nicht ausgelacht habe. Richtig erkannt. Aber es ist nun einmal eine Tatsache, daß jeder genau das glaubt, was ihm gerade in den Kram passt. In dieser Beziehung macht Erika leider keine Ausnahme. Eher das Gegenteil ist der Fall.
“Du glaubst wohl, dich über mich lustig machen zu können? Gerade Du. Ein Versager, den sie nicht einmal mehr bei der Post wollen. Das muß man sich einmal vorstellen. Alle Achtung.” Erika tobte.



Ihr ansonsten wunderschönes, strahlendes Gesicht war momentan nur noch eine Fratze. Normalerweise ein typischer Fall für die Psychatrie. Gleich werden ihr die Augen aus dem Kopf springen. Erika tat mir leid. Eigentlich hätte ich sie am liebsten in den Arm genommen. Ganz lange. Sie an mich drücken. Eine Ewigkeit lang. Dieser Zug war allerdings abgefahren. Und zwar ohne meine Wenigkeit. Das war mir wieder einmal mehr als klar geworden. Leider. Sicherlich, ich bin selbst schuld. Keine Zweifel. Ich hätte sie niemals anlügen dürfen. Mein Kopf hämmerte und hämmerte. Aber gelegentlich geraten einem die Situationen eben einfach aus der Hand. Wie ein schmieriger, toter Fisch. Völlig unbewußt. Man verhält sich vollkommen anderst, als man eigentlich will. Anschließend keine Möglichkeit mehr, das Steuer noch einmal herumzureißen. Das Schicksal hat dich im Schwitzkasten und drückt dir die Luft ab. Keine Chanche mehr. Du kannst in einem solchen Fall nur warten, bis es vorrüber ist.



“Jetzt rede entlich mit mir. Oder bist du auch hierzu noch zu feige?”.
Erikas Tonfall hatte sich in der Zwischenzeit verändert. Sie redete mit mir wie mit einem kleinen Kind, das etwas ausgefreßen hat. Kalt und herablaßend. Das tat mir weh. Ich fühle mich wie das letzte Arschloch. Mein Magen zog sich wieder zusammen. Trotzdem, ich mußte entlich etwas sagen, was über Zitronenbonbons hinausgeht. Und zwar schnell. Wenn nur diese Kopfschmerzen nicht wären. Die Sonne hat mich doch schlimmer erwischt, als ich es eigentlich angenommen hatte. Zum Glück ist mein Magen leer. Bis auf den Eistee. Doch der gab zum Glück Ruhe. Ich legte also los. So gut ich dazu momentan eben in der Lage war.
“Schatz, es tut mir leid”. Ich machte eine längere Pause. Keine Ahnung, aus welchem Grund. Oder eigentlich doch. Ich merkte nämlich gerade noch rechtzeitig, daß ich in dem Begriff war, sprachtechnisch in die Kategorie “3 jähriges Kleinkind” abzurutschen. Diese Blöße wollte ich mir nicht geben. Also dann eben anderst. Mit mehr Würde. Ich setzte wieder an.
“Versuche dich doch wenigstens einmal in meine Lage zu versetzen. Du glaubst gar nicht, wie es dir an die Innereien geht, wenn sie dich hinauswerfen. Ohne Vorwarnung. Einfach so. Von einem Tag zum anderen. Dein Boss schnippt einmal mit seinen fetten Wurstfingern und du bist abserviert.”
Ich gab mir einen Ruck und sah ihr in die Augen. Und zwar länger als eine halbe Sekunde. Meine Hände zitterten. Die ganze Situation kam mir ziemlich unwirklich vor. Ich wollte, daß alles wieder so ist wie früher. Oder das sie zumindest sagt, daß alles wieder gut ist. Ein frommer Wunsch. In Erikas Augen spiegelten sich Wut und vor allem Verachtung wieder. Sonst nichts.
“Du hast mich angelogen. Das hättest du nicht tun dürfen. Nein, daß nicht.”
Da hatte sie leider recht. Urzeit 15.43. Und ich war erledigt. Wirklich große Klasse. Eigentlich wollte ich ihr die Wahrheit sagen. Von Anfang an. Eigentlich. Der Preßlufthammer in meinem Kopf hämmerte weiter. Kaum zum aushalten.
Die Sache hatte sich allerdings ziemlich schnell verselbständigt. Als sie mich vor zwei Wochen rausgeworfen hatten, wollte ich es ihr sofort sagen. Noch am selben Tag. Keine Frage. Ich wäre normalerweise überhaupt nicht auf die Idee gekommen, ein derartiges Versteckspiel aufzuziehen. Wirklich nicht. Verdammt.
Erika hatte den Augenkontakt mit mir abgebrochen. Sie starrte auf den Boden. Der Boden war voller Scherben. Sie schwieg. Alles, nur nicht schweigen. Schweigen ist so endgültig.
Ich hätte einiges dafür gegeben, die Uhr zwei Wochen zurückdrehen zu können. Eine zweite Chanche. In Filmen geht das doch auch immer. Dieses mal würde ich dann auch alles richtig machen.



Aber was konnte ich denn eigentlich dafür? Gefangen in einer Verkettung von unglücklichen Umständen. Wenn damals ihre Freundin nicht zu Besuch gewesen wäre, hätte ich es ihr gesagt. Ganz besimmt. Aber diese alte Tratsche mußte ja unbedingt bis Mitternacht bleiben. Von 14.30 bis 24.00 Uhr, das muß man sich einmal vorstellen. Und danach ist Erika wie ein Stein in das Bett gefallen. Nicht mehr ansprechbar. Total besoffen. Ist sofort eingeschlafen. Das ich bis drei Uhr morgens wach lag, hat sie überhaupt nicht bemerkt. Und am folgenden Morgen bin ich dann wieder zu feige gewesen. Mein Kopf glühte. Bin einfach aus dem Haus gegangen. Als wenn ich zur Arbeit müßte. Ohne großartig nachzudenken. Mein Herz schlug schon wieder mit 240 bpm. Ich bin einfach in die S - Bahn gestiegen und losgefahren. Ohne Ziel. Wie in Trance. Irgendwann hatte die Sache dann eine Eigendynamik angenommen, die ich nicht mehr stoppen konnte. Ein anderer vielleicht, ich aber nicht.
Erika starrte immer noch den Boden an. Ihr Blick war leer. Ich mußte noch einen Versuch starten. Das war ich mir schuldig. Meine Hände zitterten. So am Arsch habe ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. Psychisch wie pysisch.



“Erika, verstehe mich doch. Ich habe mich einfach nicht getraut. Kannst du dir denn gar nicht vorstellen, wie ich mich gefühlt habe?”
Ich hoffte, daß sie mich zumindest ansieht. Wenigstens daß. Na ja, da hätte ich lange warten können. Stattdessen richtete Erika ihren Blick auf die hinter mir liegende Wand und sagte: “Ach, laß mich doch in Ruhe, du Versager”. Ihre Simme war kalt wie ein Fach voller Eiswürfel. Anschließend stand sie auf und verließ das Wohnzimmer. Realtiv gelassen. Zumindest ohne Türenknallen und ähnliche Entgleisungen.
Das saß.Ich fühlte mich, als ob mir ein zwei Meter Riese einen Schwinger in die Magengrube verpaßt hätte. Mein Herz zog sich zusammen. Dann hämmerte es wie¬der los. Schneller denn je. Alles weg. Bis auf die Kopfschmerzen. Ich ging zum Fenster. Väterschen Sonne war immer noch brav am schuften. Nicht eine Wolke. Ich dachte für einen Augenblick nach.
Wumm. Erika hatte die Wohnungstür zugeschlagen. Wahrscheinlich rennt sie zu einer ihrer blöden Freundinnen. Soll sie doch. Der Versager wird auch gleich gehen. Jawohl. Ich brauchte jetzt meine Ruhe. Und eine Herausforderung.
Soweit, so gut. Nachdem ich mich im Schlafzimmer umgezogen hatte, verschwand der arbeitslose Penner. Und zwar in den Keller. Das steht nämlich mein vollgefedertes Mountainbike. Ich mußte schleunigst raus aus der Stadt. Gesagt, getan.
Die stehende Hitze erschlägt mich fast. Sicherlich immer noch 30 Grad Celius. Und zwar im Schatten. Egal. Ich trete, also bin ich. So einfach ist das. Die Häuserfronten ziehen an mir vorbei. Urzeit 16:00. Ich überlege, wo ich hinfahren soll. Momentangeschwindigkeit 28 Kilometer in der Stunde. Gar nicht übel. Ich nehme die Passanten kaum wahr. Wozu auch. Austauschbare Gesichter. Die Sonne blendet mich. Berge. Jawohl, ich fahre auf den Galgenberg. Sieben Kilometer Steigung. Genau das richtige für einen Versager wie mich. Wenn nur diese verdammten Kopfschmerzen endtlich aufhören würden. Den Galgenberg kenne ich wie meine Westentasche. Jede Kurve. Und Kurven hat die Straße, welche auf den Gipfel führt, genug zu bieten. Da zeigt sich, wer sein Bike im Griff hat. Ein leichtes Ziehen im Oberarm.



Noch ungefähr zwei Kilometer, dann habe ich die Stadt endtlich hinter mir. Wird auch Zeit. Schweiß steht mir auf der Stirn. Momentan halte ich einen sicheren 26er Durchschnitt. Die letzten Häuser ziehen an mir vorbei. Zumeist Villen. Ältere Bauart. Schätzungsweise Anfang des Jahrhunderts. Leichte Herzstiche. Das darf doch nicht wahr sein. Ich atme ein paar mal tief durch. Nach einer Weile geht es wieder. Zumindest einigermaßen. Ein leichtes Wutgefühl. Zum größten Teil gegen meinen Körper. Kampf. Ich muß kämpfen. Es riecht nach frischem Heu. Ich liebe frisches Heu. Der Moloch Großstadt liegt hinter mir. Endtlich draußen. Zu schön, um wahr zu sein. Ein Bauer arbeitet auf seinem Feld. Er trägt einen Strohhut. Sein Gesicht ist voller Furchen. Braungebrannt. Er weiß, daß er existiert. Von mir selbst wage ich das nicht zu behaupten. Erst 6 Kilometer gefahren. Die Kopfschmerzen liegen mir im Nacken.



Es geht los. Ich schalte herunter. Und pumpe in die Pedale. Momentangeschwindigkeit 17 Kilometer in der Stunde. Das ist mir zu wenig. Eine Durchschnittsgeschwindigkeit für Versager. Nichts für mich. Ein leichtes ziehen im rechten Oberschenkel. Ich ignoriere den Schmerz. Und stelle mich in die Pedalen. Meine Muskeln sind an¬gespannt. Überall Schweiß. Glück. Endtlich. Ein Auto kommt mir entgegen. Ford Escort. Ich haße es, wenn beim biken Autos entgegenkommen. Diese Arschlöcher in ihren Blechsärgen. Ich muß notgedrungen auf die rechte Straßenseite ausweichen. Das past mir nicht. Meine Straße. Ich gebe es der Pedale und beschleunige. 20er Durchschnitt. Die Sonne besorgt es mir unerbittlich. Wenn sie meint.



Am Straßenrand liegt eine tote Katze. Die Innereien hängen ihr heraus. Das schwarze Fell ist voll mit verkrustetem Blut. Duzende kleiner Fliegen haben sich dem Kadaver angenommen. Festmahl. Sie muß hier schon eine ganze Weile liegen. Mein Magen meldet sich wieder zu Wort. Ich ignoriere ihn. Die Katze tut mir leid. Irgendjemand vermißt sie. Die erste scharfe Rechtskurve. Dem Gipfel entgegen. Ein leichtes ziehen in meinen Hoden. Weiter. Die Fahrt geht für ein paar Minuten durch den Wald. Angenehm kühl hier. Kleine Fliegen torpetieren mich. Schmerzen im Oberarm. Unangenehm. Schneller fahren. Die Straße ist hier nicht mehr so steil. Morgen ist alles anderst. Urzeit 16.25. Ich fahre. Schlechter als sonst. Kopfschmerzen sind nicht gut. Ich bin kein Versager. Der Wald liegt hinter mir. Nur ich und die Sonne. Ikkarus. Ihn hat sie drangekriegt. Mich nicht.

Mehrere Motoräder überhohlen mich. Sie fahren dem Gipfel entgegen. Genau wie ich. Die Motorradfahrer fahren schnell. Viel zu schnell. Ich will auch schnell fahren. Kurze Zeit später sind sie verschwunden. Ich bin wieder allein. Mit meinen Kopfschmerzen. 19er Durchschnitt. Ich bin langsamer geworden. Stiche in der Herzgegend. Erika verachtet mich. Meine Arbeit tut ein anderer. Die Stadt, die ich hinter mir gelassen habe, funktioniert ohne mich. Die hügelige Wiese rechts neben mir ist verlassen. Immer noch keine Wolken am Himmel. Schneller fahren. Ich versuche es. 23er Momentangeschwindigkeit. Die Straße wird wieder steiler. Kommt mir ganz recht. Da zeigt sich, wer Kondition hat. Ich stehe in den Pedalen und pumpe. Die tote Katze von vorhin wird nicht mehr lebendig. Ihre Zeit ist entgültig vorbei. Morgen ist Mittwoch. Ich muß nicht in den Stadtpark. Scharfe Linkskurve. Volles Tempo. So ist es richtig. Mein Hinterrad strauchelt für einen Moment. Dann wird der Weg noch steiler. Mein Rad beißt sich Meter für Meter nach vorne. Auf keinen Fall absteigen. Versager steigen ab. Die Straße wird jetzt kurvenreicher. Ich kenne die Strecke genau. Jeden Meter. Der Urmeter liegt in Paris. Gleich kommt eine Rechtskurve.

Ein Auto fährt hinter mir und versucht mich zu überhohlen. Ich fahre in der Mitte der Straße. Das Blechungeheuer hupt. Ich muß aufpassen. Das Blechungeheuer hupt erneut. Arschloch. Ich habe keine Lust, auszuweichen. Mein Hals ist trocken und rau wie Schmiergelpapier. Die Sonne nimmt keine Rücksicht. Das Auto ist immer noch hinter mir. Klar, wo soll es auch sonst sein. Autos verschwinden nicht. Das Gehupe geht mir auf die Nerven. Meine Kopfschmerzen auch. Ohne es zu wollen, befinde ich mich schon wieder am rechten Fahrbandrand. Das Blechungeheuer hat doch gewonnen. Diemal ein schwarzer Mercedes.


Ein Engegefühl in der Brust. Schon wieder eine Kurve. Eine Momentangeschwindig¬keit von 15 Stundenkilometern. Verdammt wenig. Mir ist etwas schwindelig. Ich kämpfe weiter. Und pumpe in die Pedalen. Der Berg lacht mich aus. Durchhalten. Die tote Katze fährt nicht mehr Fahrad. Ich aber. Urzeit 16:30. In einer halben Stunde macht die Bank zu. Die Sonne kennt keinen Feierabend. Wenn ich jetzt absteige, bin ich ein Versager. Ungefähr die hälfte der Strecke liegt hinter mir. Die zweite Halbzeit wird angepfiffen. Und schon wieder eine Linkskurve. Ich komme mir vor wie Sysyphus. Umdrehen kommt nicht in Frage. Das wäre noch schlimmer als absteigen. Also tapfer weiterpumpen. Kleine Nadelstiche mitten in das Herz. Ich werde langsamer. Das macht mich wütend. Ich beschließe also, anzugreifen. Und beschleunige. Von 0 auf 100 in 8 Sekunden. Mein Digitaltacho zeigt eine Momentangeschwindigkeit von 20 Stundenkilometern an. Schon wieder ein Ziehen im Oberarm. Scharfe Rechtskurve. Mein Bike schlingert. Ich bekomme das Ruder noch einmal herumgerissen. Und fahre weiter. Ich muß schneller sein.


Rausch. Die Landschaft wirkt ziemlich unwirklich. Ein anderer trägt die Post aus. Erika ist nicht zu Hause. Der Weg wird immer steiler. Kleine Fliegen klatschen mir in das Gesicht. Mein Hals ist trocken. Die Lunge brennt. Niemand löscht sie. Das Blut der toten Katze ist nicht mehr flüssig. Ihr Kadaver verwest. Ich stehe in den Pedalen. Und darf nicht absteigen. Absteigen ist so schwierig. Die Sonne brennt unbarmherzig. Genau wie meine Lunge. Die Straße ist eine Rolltreppe. Und die Rolltreppe wird immer schneller. Genau wie mein Herzschlag. Wer will der kann. Rechts neben der Straße steht ein braunes Holzkreuz. Der Asphalt ist geschmolzen. Meine Räder versinken. Ich bin allein. Das Kreuz beginnt zu tanzen. Die Welt ist ein Karusell. Der Schweiß auf meiner Stirn ist kalt. Ich friere etwas. Mein Lenker bewegt sich. Eine Gummischlange. Ich klammere mich daran fest. Meine Hände zittern. Das Hinterrad gehorcht nicht mehr. Es tanzt. Die Welt ist aus dem Gleichgewicht geraten. Erika lacht mich aus. Ich bin in einem Raum. Keine Fenster. Ihr Kopf vervielfältigt sich. Rasend schnell. Die Türe ist verschlossen. Die lachenden Köpfe tanzen um mich herum. Ich handle. Der Lichtschalter. Es funktioniert. Endtlich Nacht.

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